Auftrag: Bewertung eines Grundstückes, welches mit über 30 sechs- bis elf-geschossigen Mietwohn-, bzw. Mehrfamilienhäusern in Plattenbauweise bebaut ist.
Entwicklung großer Wohnsiedlungen
Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum steigt. Der Leerstand geht gegen Null. In diesem Zusammenhang wächst das Interesse an großen Wohnsiedlungen in den Innenstädten der Ballungsgebiete, in denen 8 Millionen Menschen in 4 Millionen Wohnungen leben. In den letzten Jahrzehnten stand der Mietwohnungsbau des 20. Jahrhunderts kaum im politischen Interesse. An dem (z.T. unberechtigten) schlechten Image großer Plattenbausiedlungen haben die Politik, aber auch Sachverständigenverbände beigetragen, in dem diese ständig mit sozialen Brennpunkten, besonders im Osten Deutschlands, in Verbindung gebracht wurden. Nunmehr soll lt. Bau- und Wohnungswirtschaft das große Potential verstärkt erneuert und weiterentwickelt werden, weil es für die soziale Wohnraumversorgung unverzichtbar ist (lt. einer Studie des GdW vom 25.6.2015). Je nach baulichen Standards, Alter und Qualität sind, wie bei jedem Gebäudebestand, z.T. erhebliche Bauinvestitionen erforderlich.
Plattenbauweise WBS 70
Mietwohn- bzw. Mehrfamilienhäuser sind durch Vermietung allein dem Wohnen dienende Geschossbauten. Die baulichen Hauptmerkmale der fünf- bis elfgeschossigen Gebäude des Großtafelbautyps WBS 70, welcher in der DDR von 1970 bis 1990 industriell produziert wurde, sind die überwiegend angewendeten, 6 m langen und 3m breiten Spannbeton-Deckenelemente, die dreischichtigen, überwiegend 6 m langen Außenwandelemente (Tragschicht und Wetterschutzschicht aus Normalbeton, Wärmedämmung aus Polystyol oder Mineralwolle), sowie die Raumzellen für Bad/WC (Beton/Gips) und für den Aufzugsschacht. Die raumgroßen Innen- und Trennwandelemente bestehen, auch in den Kellergeschossen, aus Normalbeton. Die Fugen der Außenwände sind i.d.R. zweistufig abgedichtet. Die Gebäude weisen innenliegende Bäder auf. Der obere Gebäudeabschluss ist als zweischaliges belüftetes Flachdach mit Innenentwässerung ausgeführt.
Standortfaktor Flughafen
Berlin ist der drittgrößte Flughafenstandort in Deutschland. Der Flughafenanbau ist eines der größten Infrastrukturprojekte Europas und ein bedeutender Standortfaktor für die regionale Wirtschaft. Gleichzeitig sind Flughäfen selbst bedeutende Arbeitsstätten und Orte mit Wertschöpfung. Entsprechend einem regionalwirtschaftlichen Gutachten der GIB wird eine positive Entwicklung des Grundstücksmarktes für Wohnen im Flughafenumfeld erwartet, welche jedoch sowohl von Nachteilen, wie Fluglärm, als auch von Vorteilen, wie Nähe zum Arbeitsplatzstandort Flughafen, beeinflusst wird. Mit einem nennenswerten Zuwachs an Beschäftigten und damit an Nachfrage nach Wohnungen, ist jedoch erst nach der Eröffnung des Flughafens zu rechnen. D.h., die im Zusammenhang mit dem Flughafen stehenden Erwartungen hinsichtlich Wertsteigerungen werden entsprechend deutschem Bewertungsrecht nach dem Stichtagsprinzip berücksichtigt. Im Gegensatz dazu steht die angelsächsische Bewertungspraxis nach dem Blue Book, welche versucht, die Ertragssituation über die Restnutzungsdauer aufzuschlüsseln.
Schallschutz am Flughafen
Nach Fertigstellung des Flughafens kommt es zu erhöhten Schallimmissionen. Dazu wurde eine Fluglärmprognose veröffentlicht. Zur Vermeidung und Minderung des Fluglärms wurden Auflagen zum passiven Schallschutz verfügt. Innerhalb festgelegter Schutzgebiete (Taggebiete mit Dauerschallpegel ab 60 dB(A)) kann ein Anspruch auf Kostenerstattung für baulichen Schallschutz bzw. eine Entschädigung bestehen. Zur Ermittlung des Verkehrswertes betroffener Grundstücke im Schutzgebiet wurde ein Leitfaden zur schallschutzbezogenen Verkehrswertermittlung nach Sprengnetter veröffentlicht (vorerst nur für Einfamilienhäuser).
Auswahl des Wertermittlungsverfahrens
Der Verkehrswert (Marktwert) wird i.d.R. nach den Vorschriften der ImmoWertV 2010 ermittelt, die nur für Gutachterausschüsse zwingend vorgeschrieben sind und für sonstige Sachverständige quasi die Bedeutung von „anerkannten Regeln der Technik“ darstellen. Bei der Ermittlung des Verkehrswertes sind die Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt, sowie die objektspezifischen Grundstücksmerkmale zu berücksichtigen. Entsprechend den Gepflogenheiten im gewöhnlichen Geschäftsverkehr kann die Wertermittlung grundsätzlich nach dem Vergleichs-, Sach-, oder Ertragswertverfahren erfolgen.
Das Ertragswertverfahren eignet sich dann zur Ableitung des Verkehrswertes, wenn für Grundstücke mit der Nutzbarkeit des Bewertungsobjekts der marktüblich erzielbare Ertrag bei der Kaufpreisbildung im Vordergrund steht, und wenn die erforderlichen Daten (wie Liegenschaftszinssatz) für die Ableitung des Verkehrswertes zur Verfügung stehen.
Auf die Anwendung des Sachwertverfahrens kann bei Renditeobjekten verzichtet werden. Zudem nimmt wegen geringer Restnutzungsdauer der Wertanteil des Gebäudes ab- und der des Bodens zu. Außerdem liegen für dieses Verfahren keine Anpassungsfaktoren an den Markt vor.
Das direkte Vergleichswertverfahren ist anzuwenden, wenn genügend Kaufpreise vorliegen. Das kann durch Einsicht in die Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses erfolgen. Eingeschränkt ist die Anwendung des Verfahrens, wenn nicht genügend Vergleichsobjekte zur Verfügung stehen, die dem speziellen Teilmarkt und der Lage des Bewertungsobjektes entsprechen und auch hinsichtlich der Zustandsmerkmale der baulichen Anlagen hinreichend übereinstimmen. Zudem bestehen in der Praxis der Gutachterausschüsse erhebliche Defizite bei der Erfassung wertrelevanter Eigenschaften mangels Innenbesichtigung.
Neben oder anstelle von Preisen für Vergleichsgrundstücke können auch aus einer Vielzahl von Kaufpreisen abgeleitete Vergleichsfaktoren herangezogen werden. Bei diesem indirekten Vergleichswertverfahren wird der Verkehrs- bzw. Marktwert aus den mit Grundstücksmarktbericht veröffentlichten Ertragsfaktoren (Quotient aus Kaufpreis und jährlichem Ertrag), sowie Gebäudefaktoren (Quotient aus Kaufpreis und Wohn- und Nutzfläche) abgeleitet.
Auftragsgemäß wurde eine Auskunft aus der Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses (AKS-Online = anonymisierte, blockbezogene Einzelfallrecherche) eingeholt. Ein direkter Vergleich ist nur eingeschränkt möglich, da für den speziellen Teilmarkt der Mietwohnhäuser in Plattenbauweise der Baujahre 1970 bis 1990 in der gegenständlichen Wohnanlage keine Kaufpreise vorliegen. Daher wurde die Auskunft für diesen Teilmarkt auf den Ostteil Berlins erweitert. Die Geschossflächenpreise zeigen eine signifikante Abhängigkeit von der Lage und der Miete. Nach Auswertung der Kaufpreise kann die im Marktbericht des Gutachterausschusses veröffentlichte Marktspanne weiter eingegrenzt werden. Der aus der Kaufpreissammlung abgeleitete Vergleichswert entspricht etwa dem Ertragswert.
Die Bewertung erfolgt im Rahmen einer Eröffnungsbilanz zum Wertermittlungsstichtag 9/2012. Im Ergebnis dieser Wertermittlung liegt der aus dem Ertragswert abgeleitete Verkehrswert mit 757,-€/m² GF (Geschossflächenpreis) innerhalb der mit Grundstücksmarktbericht genannten Preisspanne. Bei einem Nettomietansatz i.M. von 5,14 €/m² WF/NF liegt das Vielfache der Jahresnettomiete bei 15,5 in der Spanne plausibler Werte in diesem Teilmarkt zum Wertermittlungsstichtag 9/2012.
Lt. Grundstücksmarktbericht sind die Geschossflächenpreise in diesem Teilmarkt (Mietwohnhäuser ohne gewerblichen Nutzungsanteil im östlichen Stadtgebiet der Baujahre 1949 bis 1989) zwischen 2012 und 2014 im Mittel von 720,- €/m² auf 885,-€/m²GF und das Vielfache der Jahresnettomiete von 13,0 auf 18,4 gestiegen!