Qualität des Gutachtens oder des Gutachters

Die Überschrift soll keinen Widerspruch konstruieren, beides bedingt sich. Bleibt die Frage, ob ein Gutachter mängelfreie Gutachten erstellen darf, auch wenn er nicht öffentlich bestellt und vereidigt (öbuv) ist? Konservative Berufsverbände, wie der BVS, oder auch der Gutachterausschuss Berlin verneinen diese Frage. Der Jurist würde antworten: Es kommt darauf an, in diesem Fall auf den Auftraggeber. Die öffentliche Bestellung ist ein Auslaufmodell. Ein rein deutsches Konstrukt mit langer Haltedauer, das schon vor Jahren durch die europäische Norm der Zertifizierung abgelöst wurde. Im Gegensatz zu öbuv-Sachverständigen (SV) müssen zertifizierte-SV regelmäßig ihre Qualifikation nachweisen. Als zertifiziert werden nur SV anerkannt, die von einer akkreditierten Stelle zertifiziert wurden.
Der Bundesfinanzhof vertritt die Auffassung, dass der Nachweis eines geringen Wertes gegenüber dem Finanzamt (FA) nur vom Gutachterausschuss oder eines öbuv-SV geführt werden kann (BFH II R 61/11, Urteil vom 11.9.2013). Dagegen stellt das Bundesfinanzministerium als oberste Finanzbehörde klar, dass der Steuerpflichtige als Nachweis ein Gutachten eines „Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken“ vorlegen kann (Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011, ErbStR RB 198 Abs.3 S.1). D.h. ein mängelfreies Gutachten, das der Wertermittlungsverordnung (ImmoWertV, sowie WertR) entspricht, bzw. den Vorschriften des Baugesetzbuches (BauGB § 194) genügt, ist vom Finanzamt anzuerkennen. Auch wenn das Gutachten der freien Beweiswürdigung durch das FA unterliegt, hat es nur auf die Qualität eines Gutachtens abzustellen, nicht auf den Stempel des Gutachters. Es gibt auch nicht akkreditierte Zertifizierungseinrichtungen, die nach diesem Prinzip verfahren.
Dieser Klarstellung der obersten Finanzbehörde widerspricht § 18 DVO-BauGB, nach der z.B. in Berlin die Zugriffsberechtigung auf die Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses (AKS-Online) geregelt wird. Sachverständige für die Bewertung von Grundstücken benötigen zur rechtmäßigen Erfüllung ihrer Wertermittlungsaufgaben Vergleichsobjekte für das Vergleichswertverfahren nach ImmoWertV. Andere qualifizierte SV, die nicht, oder nicht mehr öffentlich bestellt oder zertifiziert sind (oder sein wollen), wird ein grundstücksbezogener Zugriff u.a. aus „datenschutzrechtlichen Gründen“ verwehrt. Sie können ihre rechtmäßigen Wertermittlungsaufgaben nicht erfüllen, da sie nur blockbezogene Informationen erhalten und somit keine Außenbesichtigung der Vergleichsobjekte vornehmen können. Da Gutachterausschüsse bei ihrer Kaufpreissammlung keine Objektbesichtigungen vornehmen, müsste das spätestens der Gutachter nachholen, wenn er den Verkehrswert aus dem Vergleichswert ableitet. Das Vergleichswertverfahren stellt das maßgebliche Verfahren zur Wertermittlung z.B. von Wohn- oder Teileigentum dar. Lt. o.g. Urteil des Finanzgerichtes sind im Vergleichswertverfahren mind. 7 – 8 Vergleichsobjekte zumindest von außen zu besichtigen.
D.h., auch Sachverständige für die Bewertung von Grundstücken mit fast 30-jähriger Berufserfahrung werden nach der o.g. Praxis daran gehindert, das Vergleichswertverfahren anzuwenden. Das ist zwar gesetzlich legitimiert aber zugleich auch schlicht unverständlich und in sich widersprüchlich.
Denn die Praxis einer differenzierten Einsichtnahme in die Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses widerspricht der Klarstellung der oberste Finanzbehörde, wonach ein mängelfreies Gutachten eines Sachverständigen für Grundstücksbewertung als Nachweis erforderlich ist. Es widerspricht auch dem Urteil des Finanzgerichtes Berlin vom 19.7.17 (3-K-3047/17), wonach Gutachten unschlüssig sind, wenn keine Außenbesichtigung an Vergleichsobjekten vorgenommen wird. In diesem Fall hat ein öbuv-SV des Gutachterausschusses in seinem Gefälligkeitsgutachten die Vergleichsobjekte nur anonymisiert, also blockbezogen genannt, obwohl er zur grundstücksbezogenen Einsicht privilegiert war. Infolgedessen wurde das Gutachten nicht anerkannt. Nicht nur bei der steuerlichen Bedarfsbewertung, auch im Zivilprozess werden Gutachten nicht zugelassen, wenn Vergleichsobjekte anonymisiert werden (lt. BGH-Urteil vom 15.4.1994).
Das Berliner Finanzgericht lässt übrigens eine Revision seines o.g. Urteils zu folgenden Fragen zu: -Sind Gutachten unschlüssig, wenn sie (entsprechend eines Aufsatzes des öbuv-SV Vogel) Erkenntnisquellen nach einem Bewertungsstichtag nicht nutzen, -oder wenn Vergleichsobjekte im Vergleichswertverfahren nicht auch innen besichtigt werden. Zugleich sieht das Finanzgericht die Frage ungeklärt, ob das Vergleichswertverfahren bei der steuerlichen Bewertung „überhaupt“ genutzt werden kann, wenn eine Anonymisierung der Vergleichsgrundstücke aus Gründen des Datenschutzes erforderlich ist. Die Frage, ob in diesem Zusammenhang die differenzierte Zugriffsberechtigung auf die Kaufpreissammlung überhaupt seine Berechtigung hat, bzw. die Frage warum „sonstige“ qualifizierte Sachverständige keine grundstücksbezogene Einsicht in die Kaufpreissammlung erhalten, wurde in diesem Einzelfall nicht berührt. Es hat lediglich angedeutet, dass „(auch)“ andere qualifizierte Sachverständige Gutachten als Beweis beim Finanzamt vorlegen können. Inwiefern Datenschutz mit Qualifikation im Zusammenhang steht, lässt § 18 DVO-BauGB und Finanzgericht offen.

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